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Kirchenaustritt rechtfertigt keine außerordentliche Kündigung eines in einer evangelischen Kindertagesstätte beschäftigten Kochs

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 10.02.2021 – 4 Sa 27/20

Der Kläger war seit Januar 1995 bei der Beklagten, der evangelischen Gesamtkirchengemeinde, als Koch in einer Kita beschäftigt. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis im August 2019 außerordentlich mit der Begründung, dass der Kläger im Juni 2019 aus der evangelischen Kirche ausgetreten sei. Hiergegen legte der Kläger eine Kündigungsschutzklage ein, da er die Kündigung für unwirksam hielt.

Das Landesarbeitsgericht bestätigte die Sicht des Klägers. Denn der im Kirchenaustritt bekundete Loyalitätsverstoß des Klägers gegen die evangelische Kirche stellt schon keinen Kündigungsgrund dar. Dass die evangelische Kirche ihre Kündigung dennoch auf den Kirchenaustritt des Klägers stützte, ist eine an der Religionszugehörigkeit anknüpfende unmittelbare Benachteiligung gemäß § 7 Abs. 2 AGG.

Diese ist laut Gericht auch nicht ausnahmsweise nach § 9 Abs. 2 AGG gerechtfertigt. Gem. § 9 Abs. 2 AGG können die Religionsgemeinschaften von ihren Beschäftigten ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses verlangen. Allerdings nur, wenn ein direkter Zusammenhang zwischen der vom Arbeitgeber aufgestellten beruflichen Anforderung eines Verhaltens im Sinne des Ethos der betroffenen Kirche und der fraglichen Tätigkeit besteht. Dieser Zusammenhang kann sich entweder aus der Art der Tätigkeit oder den Umständen ihrer Ausübung ergeben.

Im Falle des Klägers war dies nicht der Fall. Das Gericht sah die Tätigkeit eines Kochs in einer Kita nicht als mit dem Verkündungsauftrag der Kirche verbunden, da der Koch keinen (unmittelbaren) Beitrag zur Verwirklichung des Erziehungsauftrags der religiösen Bildung der in der Kita betreuten Kinder leistet. Seine Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche war für seine Tätigkeit daher nicht notwendig.

Das Arbeitsverhältnis des Klägers wurde demnach nicht durch die ausgesprochene Kündigung aufgelöst. Ihm stand ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung zu.

 

Konfessionszugehörigkeit als Einstellungsvoraussetzung bei kirchlichen Arbeitgebern muss gerichtlich nachprüfbar sein

EuGH, Urteil der Großen Kammer vom 17.04.2018, Vera Egenberger gegen Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V., C-414/16

Frau E., die keiner Konfession angehört, bewarb sich 2012 auf eine vom Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung e.V. ausgeschriebene Stelle, die die evangelische Konfessionszugehörigkeit voraussetzte. Die Klägerin wurde nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, obwohl ihre Bewerbung nach einer ersten Sichtung noch im Auswahlverfahren verblieben war. Eingestellt wurde letztlich ein Bewerber mit evangelischer Konfessionszugehörigkeit. Daraufhin klagte Frau E. vor dem Arbeitsgericht auf Entschädigung und machte eine Diskriminierung aufgrund der Religion gem. § 15 Abs. 2 und § 7 i.V.m. § 1 AGG geltend (BAG, Entscheidung vom 17.03.2016, 8 AZR 501/14).

Das Bundesarbeitsgericht reichte in diesem Zusammenhang ein Vorabentscheidungsersuchen zur Auslegung des Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG („Selbstbestimmungsrecht kirchlicher Arbeitgeber“) vor dem Europäischen Gerichtshof ein. Nach dieser Bestimmung können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass eine Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung keine Diskriminierung darstellt, wenn die Religion oder die Weltanschauung des Arbeitnehmers nach der Art der Tätigkeit oder den Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt. § 9 AGG setzt dies in nationales Recht um.

Dem EuGH zufolge bedeutet dies jedoch auch, dass für den Fall, dass eine Religionsgemeinschaft zur Begründung einer Handlung oder Entscheidung, wie der Ablehnung einer Bewerbung, geltend macht, das Erfordernis der Konfessionszugehörigkeit sei für das Anstellungsverhältnis eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos dieser Kirche oder Organisation, ein solches Vorbringen Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sein können muss. Die Anforderung muss zudem mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Einklang stehen.

Dadurch soll sichergestellt werden, dass die in Art. 4 Abs. 2 dieser Richtlinie genannten Kriterien im konkreten Fall erfüllt sind.

 

Unternehmensinterne Neutralitätsvorgaben: Kopftuchverbot für Drogeriemarkt-Angestellte ist rechtswidrig
Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 27.03.2018, 7 Sa 304/17

Die Klägerin ist bei einer bundesweit agierenden Drogeriemarktkette angestellt. Nach ihrer Elternzeit erschien die Klägerin, anders als zuvor, mit einem muslimischen Kopftuch zur Arbeit. Die Filialleiterin wies die Klägerin infolgedessen daraufhin, dass man sie nicht beschäftigen werde, wenn sie ein Kopftuch trage und berief sich dabei auf eine betriebliche Vorgabe, nach der von allen Beschäftigten eine bestimmte religiöse und weltanschaulich neutrale Kleiderordnung zu beachten sei.

Die Klägerin erhob gegen die Weisung der Arbeitgeberin Klage vor dem Arbeitsgericht. Die Klägerin gewann die Klage vor dem Arbeitsgericht Nürnberg (ArbG Nürnberg, Urteil vom 28.03.2017, 8 Ca 6967/14) und die Beklagte wurde zur Zahlung von Entgeltansprüchen und Urlaubsgeld an die Klägerin verurteilt. Dagegen legte die Beklagte Revision vor dem LArbG Nürnberg ein, welche für unbegründet befunden wurde, da die Weisung der Beklagten auch nach Ansicht des LArbG unwirksam war.

Zwar kann die Arbeitgeberin gemäß ihrem Direktionsrecht aus § 106 GewO auch gewisse Bestandteile des äußeren Erscheinungsbild der Beschäftigten vorschreiben, allerdings lag in diesem Fall ein unrechtmäßiger Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot aus § 7 AGG vor, da muslimische Frauen wegen ihrer Religion und ihres Geschlechts mittelbar diskriminiert werden. Obwohl die Vorgabe zur unternehmerischen Neutralitätspolitik grundsätzlich für alle gelte, betreffe sie muslimische Frauen, die als Ausdruck ihres Glaubens ein Kopftuch trugen, in weit stärkerem Maße als andere Beschäftigte. Vorliegend kann die Beklagte auch kein diese mittelbare Benachteiligung rechtfertigendes Ziel geltend machen. Zudem beeinträchtigt das Kopftuchverbot auch die Religionsfreiheit der Klägerin aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG.

Auch im Lichte der Rechtsprechung des EuGH zu unternehmensinternen Neutralitätsvorgaben (vgl. EuGH C-157/15 und C-188/15) war die Weisung der Beklagten rechtswidrig. Die unternehmerische Freiheit der Beklagten, die ein solches Neutralitätsgebot grundsätzlich ermöglichen würde, beispielsweise bei einem Dienstleistungsunternehmen, das in besonderem Maße auf Wohlwollen der Kund*innen angewiesen ist, tritt hier hinter der Religionsfreiheit der Klägerin zurück, da der Wunsch des Einzelhandelsunternehmens nach Neutralität lediglich auf einem subjektivem Empfinden der Beklagten beruht und der Kontakt mit den ohnehin unterschiedlichen Kund*innen sehr gering ist und somit der Schutz der Grundrechte der Klägerin in diesem Fall vorzugswürdig ist.

 

Wunsch eines Kunden, die Leistungen nicht von einer Arbeitnehmerin mit Kopftuch ausführen zu lassen, keine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung

EuGH, Urteil der Großen Kammer vom 14.03.2017, Bougnaoui und ADDH gegen Micropole SA, C-188/15

Frau B. war als Softwaredesignerin bei der Micropole SA beschäftigt und trägt ein muslimisches Kopftuch. Bei ihrer Arbeit kam sie sowohl intern als auch extern mit Kunden in Kontakt. Im Juni 2009 erhielt sie ein Entlassungsschreiben, in welchem ihre Entlassung mit den Wünschen eines Kunden, die Leistungen nicht von einer Arbeitnehmerin mit Kopftuch ausführen zu lassen, begründet wurde.

Frau B. klagte vor den französischen Arbeitsgerichten gegen ihre Entlassung und machte eine Diskriminierung aufgrund ihrer religiösen Überzeugungen geltend.

Schließlich legte der französische Kassationsgerichtshof dem EuGH folgende Vorlagefrage vor: Ist Art. 4 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78/EG („Ungleichbehandlung aufgrund von beruflichen Anforderungen“) da­hingehend aus­zu­le­gen, dass der Wunsch ei­nes Kun­den ei­ner In­for­ma­tik­be­ra­tungs­ge­sell­schaft, die in­for­ma­ti­ons­tech­ni­schen Leis­tun­gen die­ses Un­ter­neh­mens nicht mehr von ei­ner an­ge­stell­ten Pro­jekt­in­ge­nieu­rin, die ein is­la­mi­sches Kopf­tuch trägt, ausführen zu las­sen, ei­ne auf­grund der Art ei­ner be­stimm­ten be­ruf­li­chen Tätig­keit oder der Be­din­gun­gen ih­rer Ausübung we­sent­li­che und ent­schei­den­de be­ruf­li­che An­for­de­rung dar­stellt?

Insoweit weist der EuGH darauf hin, dass ein mit der Religion im Zusammenhang stehendes Merkmal nur unter sehr begrenzten Bedingungen eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellen kann. Allein der Wille eines Arbeitgebers, den Wünschen eines Kunden zu entsprechen, seine Leistungen nicht mehr von einer Arbeitnehmerin ausführen zu lassen, die ein islamisches Kopftuch trägt, könne nicht als eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung im Sinne der Richtlinie angesehen werden.

 

Kopftuchverbot bei Arbeit als Rezeptionistin als unternehmensinterne Regel EuGH, Urteil vom 14.03.2017, Samira Achbita u.a. gegen G4S Secure Solutions NV, C-157/15

Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, Frau A., arbeitete mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag als Rezeptionistin im Dienst der Beklagten, welche Kunden aus dem öffentlichen und privaten Sektor u.a. Rezeptions- und Empfangsdienste anbietet. Zu dieser Zeit gab es bereits eine ungeschriebene Regel innerhalb des Unternehmens, wonach Arbeitnehmende am Arbeitsplatz keine sichtbaren Zeichen ihrer politischen, philosophischen oder religiösen Überzeugungen tragen durften.

Nachdem Frau A. angekündigt hatte, in Zukunft ein Kopftuch tragen zu wollen, fand eine Anpassung der Arbeitsordnung statt, welche wie folgt lautete: „Es ist den Arbeitnehmern verboten, am Arbeitsplatz sichtbare Zeichen ihrer politischen, philosophischen oder religiösen Überzeugungen zu tragen und/oder jeglichen Ritus, der sich daraus ergibt, zum Ausdruck zu bringen“. Frau A. wurde sodann aufgrund ihrer festen Absicht, als Muslima am Arbeitsplatz ein Kopftuch zu tragen, entlassen.

Dagegen klagte Frau A. vor den belgischen Gerichten. Aufgrund von Unklarheiten bei der Auslegung von Europarecht reichte der belgische Kassationshof ein Vorabentscheidungsersuchen vor dem Europäischen Gerichtshof ein. Das vorlegende Gericht wollte wissen, ob Art. 2 Abs. 2 a) der Richtlinie 2000/78/EG dahingehend auszulegen ist, dass das Verbot, ein islamisches Kopftuch zu tragen, das sich aus einer internen Regel bezüglich der allgemeinen religiösen, philosophischen und politischen Neutralität eines privaten Unternehmens ergibt, eine durch diese Richtlinie verbotene unmittelbare Diskriminierung darstellt.

Der EuGH verneinte das Vorliegen einer unmittelbaren Diskriminierung durch eine solche Regel in diesem Fall. Jedoch kann eine solche interne Regel eines privaten Unternehmens eine mittelbare Diskriminierung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 b) der Richtlinie 2000/78/EG darstellen, wenn sich erweist, dass die dem Anschein nach neutrale Verpflichtung, die sie enthält, tatsächlich dazu führt, dass Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung in besonderer Weise benachteiligt werden. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn eine solche interne Regel durch ein rechtmäßiges Ziel wie die Verfolgung einer Politik der politischen, philosophischen und religiösen Neutralität durch den Arbeitgeber im Verhältnis zu seinen Kunden sachlich gerechtfertigt ist, und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.

 

Ein generelles Kopftuch-Verbot für Erzieherinnen in kommunalen Kindertagesstätten verstößt gegen die Religionsfreiheit

Bundesverfassungsgericht, Beschluss des Ersten Senats vom 18.10.2016, 1 BvR 354/11

Die Beschwerdeführerin, eine Erzieherin muslimischen Glaubens in einer kommunalen Kindertagesstätte in Baden-Württemberg, trug während der Arbeitszeit ein Kopftuch. Daraufhin erhielt sie eine Mahnung wegen Verstoßes gegen das im damaligen § 7 Abs. 6 Kitagesetz Baden-Württemberg (jetzt § 7 Abs. 8 KitaG BW) verankerte Neutralitätsgebots des Trägers. Dieser untersagt Fachpersonal u.a., religiöse Bekundungen abzugeben, die geeignet sind, die Neutralität des Trägers oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Frieden in den Einrichtungen zu gefährden oder zu stören.

Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin richtete sich gegen die Abmahnung sowie gegen die in diesem Zusammenhang ergangenen arbeitsgerichtlichen Entscheidungen und mittelbar gegen den ehemaligen § 7 Abs. 6 KitaG BW.

Das BVerfG stellte fest, dass die arbeitsgerichtlichen Entscheidungen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verletzten.

Im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung des § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG BW ist das Merkmal der Eignung, den Einrichtungsfrieden oder die Neutralität des öffentlichen Einrichtungsträgers zu gefährden oder zu stören, dahingehend einzuschränken, dass von der äußeren religiösen Bekundung nicht nur eine abstrakte, sondern eine hinreichend konkrete Gefahr für die dort genannten Schutzgüter ausgehen muss. Das Vorliegen der konkreten Gefahr ist zu belegen und zu begründen. Allein das Tragen eines „islamischen Kopftuchs“  als verpflichtend empfundenes religiöses Gebot begründet eine hinreichend konkrete Gefahr auch im Kindergartenbereich im Regelfall nicht. (vgl. unten, BVerfG, 27. Januar 2015, 1 BvR 471/10 )

Das BVerfG hat die vorinstanzlichen Entscheidungen aufgehoben und die Sache an das LAG Baden-Württemberg zurückverwiesen.

 

„Positive Einstellung zur katholischen Kirche“ muss nicht gleich Taufe bedeuten

Arbeitsgericht Oldenburg, Urteil vom 10.02.2016 – 3 Ca 334/15

Der Träger eines katholischen Krankenhauses schrieb die Stelle eines_einer Personalsachbearbeiter_in aus und forderte darin eine „positive Einstellung zu den Grundlagen/Zielen eines katholischen Trägers“. Die Klägerin bewarb sich auf die Stelle. Nach einem Vorstellungsgespräch entschied der katholische Träger, sie einzustellen. Während eines weiteren Gesprächs zwischen den Parteien fragte der Geschäftsführer des Krankenhauses die Klägerin nach ihrer Konfessionszugehörigkeit. Die Klägerin antwortete, dass sie konfessionslos und nicht getauft sei, woraufhin ihr mitgeteilt wurde, dass sie damit nicht eingestellt werden könne.

Dieses Verhalten seitens des katholischen Krankenhauses stellt eine Diskriminierung im Sinne von §§ 7 Abs. 1, 1 AGG in Verbindung mit § 6 Abs. 1 S. 2 AGG dar. Die Klägerin wurde nur deswegen nicht eingestellt, weil sie nicht getauft und einer Konfession nicht zugehörig ist. Nach § 9 Abs. 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion bei der Beschäftigung durch eine einer Religionsgemeinschaft zugeordneten Einrichtung zulässig, wenn eine bestimmte Religion im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.

Nach der „Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse“ und dem grundrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrecht der Kirchen gem. Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV darf der katholische Arbeitgeber die Zugehörigkeit zur katholischen Religion zwar voraussetzen. Allerdings gilt dies nur für Beschäftigte, die pastorale, katechetische, erzieherische oder leitende Aufgaben innehaben. Von einer Personalsachbearbeiterin werden lediglich Loyalitätsobliegenheiten verlangt. Hierfür muss weder eine Konfessionszugehörigkeit gegeben sein, noch muss der_die Mitarbeiter_in dafür getauft sein.

Durch die religionsbedingte Benachteiligung in dem Stellenbesetzungsverfahren wurde der konfessionelle Träger des Krankenhauses zu einer Entschädigung (§ 15 Abs. 2 AGG) in Höhe von 3.856,67 EUR und einer Schadensersatzzahlung (§ 15 Abs. 1 AGG) von 3.900,- EUR verurteilt.

Die Berufung des katholischen Trägers wurde vom Landesarbeitsgericht Niedersachsen am 14. Dezember 2016 – 17 Sa 288/16 – zurückgewiesen.

 

Pauschales Kopftuchverbot für muslimische Lehrkräfte an öffentlichen Schulen ist verfassungswidrig

Bundesverfassungsgericht, Beschlussvom 27.01.2015 – 1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10

Die Beschwerdeführerinnen, jeweils in Deutschland geboren, türkischer Abstammung und muslimischen Glaubens, sind an öffentlichen Schulen in Nordrhein-Westfalen tätig. Während der Arbeit trugen sie aufgrund eigenen Wunsches und  religiöser Überzeugung ein Kopftuch. Nach dem Inkrafttreten des Schulgesetzes Nordrhein-Westfalen forderten die Schulbehörden aufgrund der Regelung des § 57 Abs. 4 SchulG NW die Lehrkräfte auf, ihr Kopftuch abzulegen.

Als sie dem nicht nachkamen, bekamen sie jeweils eine arbeitsrechtliche Abmahnung, einer Beschwerdeführerin wurde sogar gekündigt. Dagegen klagten sie einzeln, wobei die Arbeitsgerichte, in der Berufung die Landesarbeitsgerichte, bis schließlich das Bundesarbeitsgericht ihnen kein Recht zugestanden und das nordhrein-westfälische Schulgesetz mit dem darin enthaltenen Verbot des Kopftuchtragens als legitim ansahen:

„Das Tragen des islamischen Kopftuchs könne den Schulfrieden gefährden und den Eindruck hervorrufen, dass die Beschwerdeführerin gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung von Mann und Frau nach Art. 3 GG, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung auftrete“, hieß es in den Urteilen.

Die beiden Beschwerdeführerinnen reichten jeweils Verfassungsbeschwerde gegen Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts ein, die sich auf diese Rechtsgrundlage des neu in Kraft getretenen Schulgesetzes Nordrhein-Westfalen beriefen.

Das Bundesverfassungsgericht widerspricht dem Arbeitsgericht in dem ausführlichen Beschluss und stellt eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG fest. Ein Verbot, das die Beeinträchtigung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität als Eingriffsgrund ausreichen lässt, sei hinsichtlich der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit unangemessen und unverhältnismäßig, schließlich bestehe keine konkrete Gefahr gegenüber Erstgenannten.

Das Recht Einzelner, ihr gesamtes Verhalten an Lehren ihres Glaubens auszurichten und dieser Überzeugung gemäß zu handeln, wird von Art. 4 GG geschützt. „In dieser Offenheit [gegenüber verschiedenen Religionen und Weltanschauungen] bewahrt der freiheitliche Staat des Grundgesetzes seine religiöse und weltanschauliche Neutralität.“

§ 57 Abs. 4 SchulG NW stellt einen schwerwiegenden Eingriff in die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit dar, ist mithin nicht mit der Verfassung vereinbar, also nichtig.

 

Vertraglich vereinbarte Loyalitätsobliegenheiten in kirchlichen Arbeitsverhältnissen unterliegen weiterhin nur eingeschränkter Überprüfung durch die staatlichen Gerichte
Bundesverfassungsgericht, Beschluss des Zweiten Senats vom 22.10.2014, 2 BvR 661/12

Die Beschwerdeführerin, kirchliche Trägerin eines katholischen Krankenhauses, legte Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts ein, in dem entschieden wurde, dass die von ihr ausgesprochene Kündigung eines Chefarztes aufgrund dessen standesamtlicher Wiederverheiratung als Verstoß gegen ihre glaubensbezogenen Loyalitätserwartungen unwirksam sei. (BAG, Urteil vom 08.09.2011, 2 AZR 543/10).

Die Beschwerdeführerin machte eine Verletzung des Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG und Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV durch die eigenständige Überprüfung und Beurteilung der Kündigung des Chefarztes durch das BAG geltend.

Das BVerfG betonte, dass allein die von der Kirche anerkannten Maßstäbe und der konkrete Inhalt des Arbeitsvertrags ausschlaggebend für die aufgrund des Arbeitsvertrags bestehenden kirchlichen Grundverpflichtungen sind. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht umfasst alle von den Kirchen selbst formulierten Maßnahmen, die der Sicherstellung des kirchlichen und religiösen Selbstverständnisses und der Wahrung der unmittelbaren Beziehung der Tätigkeit zum kirchlichen Grundauftrag dienen. Die staatlichen Gerichte dürfen sich bei der Prüfung des Kündigungsgrundes, welcher in einem Verstoß gegen eine kirchliche Grundverpflichtung begründet sein kann, nicht über das kirchliche Selbstverständnis hinwegsetzen, solange dieses nicht in Widerspruch zu grundlegenden verfassungsrechtlichen Gewährleistungen steht.

Erst auf einer zweiten Prüfungsstufe sind die Grundrechte der betroffenen Arbeitnehmenden und deren durch das allgemeine Arbeitsrecht geschützte Interessen mit den kirchlichen Belangen und der korporativen Religionsfreiheit im Rahmen einer Gesamtabwägung zum Ausgleich zu bringen.

Das BVerfG hat das Verfahren an das BAG zurückverwiesen, das in seiner Entscheidung vom 08.09.2011 „die Bedeutung und Tragweite des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts nicht ausreichend berücksichtigt habe.“

Das BAG hat daraufhin am 09.02.2017 ein Vorabentscheidungsersuchen vor dem Europäischen Gerichtshof betreffend der Auslegung des Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG (Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf) zur Zulässigkeit von kirchlichen Loyalitätsobliegenheiten und der Unterscheidung nach der Konfessionszugehörigkeit von leitenden Arbeitnehmenden durch die Kirche eingereicht. (EuGH, C-68/17) Der EuGH stellte mit Urteil vom 11.09.2018 fest, dass die Anforderungen eines kirchlichen Trägers an die Loyalitätsobliegenheiten ihrer Angestellten Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sein können müssen. Er führt aus, dass die Anforderung an einen katholischen Chefarzt, den heiligen und unauflöslichen Charakter der Ehe nach dem Verständnis der katholischen Kirche zu beachten, nicht als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung erscheint.

Im Detail habe darüber jedoch das deutsche Bundesarbeitsgericht zu befinden und dabei zu prüfen, ob der kirchliche Träger in diesem Fall dargetan hat, dass die Gefahr einer Beeinträchtigung seines Ethos oder seines Rechts auf Autonomie wahrscheinlich und erheblich ist.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

 

AGG: Ablehnung eines IT-Administrators im Bereich der erzbischöflichen Verwaltung wegen fehlender Religionszugehörigkeit gerechtfertigt

Arbeitsgericht Köln, Urteil vom 22.02.2013, 1 Ca 6290/12

Die Beklagte schrieb im November 2011 eine Stelle in der IT-Administration der erzbischöflichen Verwaltung aus. Der Kläger bewarb sich auf die Stelle und teilte der Beklagten auf Nachfrage mit, dass er der christlichen Religion nicht angehöre. Daraufhin teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie sich bei der Besetzung der Position nicht für diesen entschieden habe.

Der Kläger machte daraufhin eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG geltend, da er in der Absage eine ungerechtfertigte Benachteiligung nach § 7 Abs. 1, § 1 („Religion“) AGG sah.

Die Klage wurde als unbegründet abgewiesen.

Zwar lag eine Benachteiligung des Klägers aufgrund der Religion nach § 7 Abs. 1 AGG vor, diese war jedoch nach § 9 Abs. 1 AGG gerechtfertigt. Demnach ist eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung bei der Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften und ähnlichen Einrichtungen zulässig, wenn die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Vereinigung im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt. Da die von der Beklagten ausgeschriebene Stelle dem Kläger intensive Einblicke in die innerste Struktur der kirchlichen Verwaltung ermöglicht hätte, musste es ihr in Hinblick auf ihr kirchliches Selbstbestimmungsrecht nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV möglich sein, diese Stelle in rechtlich zulässiger Weise allein mit einem Arbeitnehmer zu besetzen, der die katholische Religionszugehörigkeit aufweist.

 

Ausleben der Religion am Arbeitsplatz
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 15.01.2013, Case of Eweida and others vs the UK, 48420/10, 59842/10, 51671/10 and 36516/10

Der EGMR hatte über vier verschiedene Sachverhalte bezüglich des Auslebens der Religion der Beschwerdeführenden am Arbeitsplatz zu entscheiden: Eine Beschwerdeführerin, die bei einer Fluggesellschaft im „Check-In“ tätig war, wollte während der Arbeitszeit sichtbar eine Kette mit Kreuz tragen, eine weitere Beschwerdeführerin war als Krankenschwester in der Altenpflege tätig und wollte ebenfalls eine Kette mit Kreuz tragen. Eine Beschwerdeführerin, tätig als Standesbeamte, weigerte sich aus religiösen Gründen, gleichgeschlechtliche Partnerschaften im Rahmen von Verpartnerungen einzutragen. Ein Beschwerdeführer, der als Paartherapeut tätig war, weigerte sich aus religiösen Gründen, homosexuelle Paare zu betreuen. Die jeweiligen Arbeitgebenden der Beschwerdeführenden ergriffen Maßnahmen, um das Tragen des Kreuzes sowie die Weigerung der Zusammenarbeit mit gleichgeschlechtlichen Paaren zu unterbinden.

Die Beschwerdeführenden machten daraufhin eine Verletzung ihres Rechts auf Religionsfreiheit aus Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention durch Großbritannien und britisches nationales Recht geltend.  

Der EGMR stellt klar, dass die Religionsfreiheit eines der Fundamente einer demokratischen Gesellschaft ist und jede Einschränkung dieser Freiheit eine gesetzliche Grundlage haben und ein legitimes Ziel verfolgen muss, insofern muss eine Abwägung der beiderseitigen Interessen getroffen werden. Bezüglich  der ersten Beschwerdeführerin erkannte der EGMR, die Ausgangsgerichte hätten dem Anliegen des privaten Arbeitgebers, lediglich ein bestimmtes Unternehmensbild zu vermitteln, ein zu großes Gewicht gegeben. Bezüglich der anderen Beschwerdeführenden ging der Gerichtshof von einer schwerwiegenderen Gewichtung der Interessen der Arbeitgebenden aus, wobei das Verhalten der Beschwerdeführenden zu Störungen im Arbeitsverhältnis führten, die die Arbeitgebenden nicht hinnehmen musste

 

Konfessionsloser Krankenpfleger darf nicht aufgrund seiner Konfessionslosigkeit abgelehnt werden

Arbeitsgericht Aachen, Urteilvom 13.12.2012 – 2 CA 42236/11

Der Kläger, von Beruf Krankenpfleger, bewarb sich auf die Ausschreibung der Beklagten, einer katholischen Kirchengemeinde, die ein Krankenhaus betreibt. Während des Vorstellungsgespräches wurde er aufgrund seiner Erfahrung und Qualifikation gelobt, wobei ihm die Stationsleiterin mitteilte, dass keine Bedenken gegen seine Einstellung bestünden. Die Frage nach seiner Religionszugehörigkeit fiel nicht. Erst als auffiel, dass der Kläger konfessionslos ist, wurde ihm mitgeteilt, dass dies ein Problem darstelle und er deshalb nicht eingestellt wurde.

Hier besteht eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion. Jedoch könnte diese Behandlung nach § 9 Abs. 1 AGG gerechtfertigt sein. Allerdings ist die Konfessionszugehörigkeit nach der Grundordnung der katholischen Kirche nur dann Voraussetzung, wenn es sich entweder um Aufgaben handelt, bei denen Glaubens- und Moralvorstellungen der katholischen Kirche vermittelt werden, oder erzieherische oder leitende Aufgaben Teil der in Frage stehenden Tätigkeit sind. Die Tätigkeit eines Krankenpflegers erfordert lediglich eine Loyalitätsobliegenheit, das heißt, dass die Aufgaben im Sinne der Kirche zu erfüllen sind.

Die Beklagte hat keine wertende Gesamtschau unternommen. Sie hat bei der Ablehnung nur auf das fehlende Merkmal der Religionszugehörigkeit abgestellt. Die Benachteiligung ist folglich nicht nach § 9 Abs. 1 AGG in Verbindung mit der Grundordnung der katholischen Kirche gerechtfertigt.

Die Beklagte wurde zu einer Entschädigungszahlung in Höhe von 3.000,- EUR verurteilt.

 

Kein Ausbildungsplatz wegen Kopftuch

Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 28.03.2012 – 55 Ca 2426/12

Eine Frau muslimischen Glaubens bewarb sich auf eine ausgeschriebene Stelle als Zahnarzthelferin in einer Zahnarztpraxis. Auf dem Bewerbungsfoto trug sie ein Kopftuch, welches ihr gesamtes Haupthaar bedeckte. Während des Bewerbungsgesprächs wurde sie gefragt, ob sie sich vorstellen könnte, das Kopftuch während der Arbeitszeit abzulegen. Dies verneinte sie. Obwohl die Zahnarztpraxis sie gerne eingestellt hätte, sah sie mit der Begründung von einer Einstellung ab, da das Tragen eines Kopftuchs nicht zu der betrieblichen Kleiderordnung passe bzw. kein neutrales Kleidungsstück sei und deshalb abgelehnt werde.

Ein solches Verhalten stellt eine Diskriminierung wegen der Religion dar, welche nach § 7 Abs. 1 AGG verboten ist. Eine Ausnahme nach § 8 Abs. 1 AGG, wonach der Arbeitgeber bei besonderen beruflichen Anforderungen wegen der Art der Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung Bewerber unterschiedlich behandeln darf, lag hier nicht vor.

Die Klägerin erhielt eine Entschädigung von 1.470,- EUR.