Ist Polizeiarbeit ohne das so genannte Racial/Ethnic Profiling möglich? Ein Blick nach Großbritannien
Im Oktober 2012 entschied das Oberverwaltungsgericht Rheinland Pfalz, dass Personenkontrollen, die ausschließlich aufgrund phänotypischer Merkmale wie der Hautfarbe durchgeführt werden, nicht mit dem Grundgesetz Artikel 3 Absatz 3 vereinbar sind. Ein junger Schwarzer Deutscher hatte wegen einer Personenkontrolle gegen die Bundespolizei geklagt und Recht bekommen. Die Entscheidung des Gerichtes wird als richtungweisend für zukünftige Fälle gewertet. Seit dem steht die Frage im Raum: Wie geht Polizeiarbeit ohne das so genannte Racial/Ethnic Profiling?
Die nächstliegende Antwort wäre Paragraf 22 (1a)1 des Bundespolizeigesetzes zu streichen und auf Personenkontrollen in Bahnhöfen, auf Bahnstrecken, oder an Flughäfen zu verzichten. Genau dies fordern das Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung e.V. (BUG) und die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) in ihrer Petition zu ‚Racial/Ethnic Profiling’, die im November 2012 beim Petitionsausschuss des deutschen Bundestages vorgelegt wurde. Denn dieses Gesetz ermöglicht der Bundespolizei verdachtsunabhängige Personenkontrollen durchzuführen, gleichwohl der Schengener Grenzkodex2 dies ausdrücklich untersagt. Hinzu kommt, dass auch Polizeibeamte ihre Stereotype nicht immer zu Hause lassen, wenn sie zur Arbeit gehen und auf Muster des ‚Drogen dealenden Afrikaners’ und des ‚muslimischen Terroristen’ zurück greifen. Ein Dilemma, das einer baldigen Klärung und Bearbeitung bedarf.
Sicherlich wird Paragraf 22 des Bundespolizeigesetzes nicht über Nacht abgeschafft werden. Gleichermaßen muss es im Interesse der Polizei liegen, im Ergebnis rassistische Kontrollen zu vermeiden. Hierzu ist mehr nötig als ein Sensibilisierungs- oder Trainingsseminar für BundespolizistInnen. Wie also Polizeiarbeit ohne ‚Racial/Ethnic Profiling’ umsetzen?
Ein Blick nach Großbritannien könnte helfen, konkrete Vorschläge für Deutschland zu erarbeiten. Im April 1993 war der 18-Jährige Schwarze Brite Stephen Lawrence in London an einer Bushaltestelle erstochen worden. Erst in 2012 konnten zwei der vermutlich fünf Täter verurteilt werden.
Für ihr Verhalten bei der Aufklärung des rassistisch motivierten Mordes wurde die Londoner Polizei vehement kritisiert. Die rassistische Motivation wurde negiert; Beweismittel und Zeugenaussagen nicht ernst genommen. Auf öffentlichen Druck hin wurde 1997 eine Untersuchungskommission einberufen, die in 1999 einen Bericht mit weitreichenden Empfehlungen veröffentlichte, die sich zu großen Teilen an die britische Polizei richtet.
Das britische Innenministerium drängte die verschiedenen Polizeikräfte, diese Empfehlungen umzusetzen. Sie decken alle Bereiche der Polizeiarbeit ab. Veränderungen in der Struktur, der Arbeitsweise und der Verantwortung der Polizei gegenüber der Bevölkerung wurden vorgenommen. Die Kommunikation mit Angehörigen der Opfer wurde verbessert, die Rekrutierung von Menschen aus so genannten „Minderheiten Communities“ forciert, die Meldung und statistische Erfassung von rassistisch motivierten Straftaten verbessert und die Methoden der Personenkontrollen überarbeitet.
So wurde beispielsweise eine Datenbank erstellt, in der alle polizeilich durchgeführten Personenkontrollen zentral erfasst werden. Informationen zu den Personenkontrollen beinhalten den Namen des kontrollierenden Beamten, den Anlass der Kontrolle und Angaben zur kontrollierten Person. Persönliche Daten der kontrollierten Person sind anonymisiert und gelangen nicht an die Öffentlichkeit.
Die Angabe der ethnischen Zugehörigkeit kann darin angegeben werden, sofern die kontrollierte Person dies wünscht und ihre ethnische Zugehörigkeit selbst definiert. Die kontrollierte Person erhält einen Durchschlag der erfassten Informationen, die nachvollziehen lässt,, welche Personengruppen verstärkt kontrolliert werden. Gleichermaßen bedeutete dies, dass Betroffene Klarheit darüber habe, welcher Beamte sie kontrollierte, sollten sie eine Beschwerde gegen die Polizei einreichen wollen. Eine weitere Empfehlung zielte darauf ab, eine Informationskampagne durch die Polizei durchführen zulassen, um der Bevölkerung ausreichend Informationen zum rechtlichen Rahmen der Personenkontrollen an die Hand zu geben.
Britische Statistiken der vergangenen Jahre weisen aus, dass beispielsweise in London überproportional viele Menschen mit ‚Black and Minority Ethnic’ Hintergrund, wie ethnische Minderheiten in Großbritannien genannt werden, kontrolliert wurden. Daraufhin drängte das Innenministerium darauf, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Aufgrund der kontinuierlichen Datensammlung können Entwicklungen beobachtet werden und durch die Veröffentlichung der anonymisierten Daten ist es NGOs möglich, sich einzubringen.
Darüber hinaus veröffentlicht das Innenministerium auf seiner Webseite Informationen, unter welchen rechtlichen Rahmenbedingungen Personenkontrollen durchgeführt werden dürfen. Gleichermaßen werden Informationen angeboten, wie eine Beschwerde wegen einer Personenkontrolle eingereicht werden kann. Auf ein hohes Maß an Transparenz wird Wert gelegt. Die britische Menschenrechtskommission – die eine unabhängige Institution ist – hat das Mandat, die Polizeipraxis bei Personenkontrollen zu untersuchen und aus der Menschenrechtsperspektive zu beleuchten. Umfassende und kritische Analysen wurden veröffentlicht und der Regierung vorgelegt.
In Großbritannien werden heute Beschwerden gegen Polizeibeamte nicht mehr von der Polizei selbst bearbeitet und untersucht. Aufgrund einer Empfehlung aus der Stephan Lawrence Untersuchung wurde die Beschwerdestelle der Polizei (Police Complaints Authority (PCA) durch die Unabhängige Beschwerdekommission der Polizei (Independent Police Complaints Commission (IPCC) ersetzt.
Diese neue Stelle ist strukturell von der Polizei unabhängig und hat das Vertrauen gestärkt, bei missbräuchlichem Verhalten von Beamten, Beschwerden einzureichen. Kritische Stimmen sagen jedoch, die IPCC analysiere die Beschwerden eher aus der Perspektive der Polizei und nicht aus der Sicht der Beschwerdeführer.
Auch in Großbritannien unterliegen derartige Maßnahmen dem politischen Wind. Erosionen sind in den letzten Jahren erkennbar. Diese Erfahrungen könnten – trotz aller Kritik – die Arbeit zu ‚Racial/Ethnic Profiling’ in Deutschland befördern und dabei helfen notwendige, zielgerichtete und nachhaltige Maßnahmen auf den Weg zu bringen.
1. BPolG, § 22 (1a) Zur Verhinderung oder Unterbindung unerlaubter Einreise in das Bundesgebiet kann die Bundespolizei in Zügen und auf dem Gebiet der Bahnanlagen der Eisenbahnen des Bundes (§ 3), soweit auf Grund von Lageerkenntnissen oder grenzpolizeilicher Erfahrung anzunehmen ist, daß diese zur unerlaubten Einreise genutzt werden, sowie in einer dem Luftverkehr dienenden Anlage oder Einrichtung eines Verkehrsflughafens (§ 4) mit grenzüberschreitendem Verkehr jede Person kurzzeitig anhalten, befragen und verlangen, daß mitgeführte Ausweispapiere oder Grenzübertrittspapiere zur Prüfung ausgehändigt werden, sowie mitgeführte Sachen in Augenschein nehmen.
2. Titel II, Kapitel II, Artikel 6 (2) Bei der Durchführung der Grenzübertrittskontrollen dürfen die Grenzschutzbeamten Personen nicht aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung diskriminieren.