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Urteile zu religiöser Diskriminierung bei kirchlichen Arbeitgeber*innen

Kündigung eines katholischen Chefarztes wegen Wiederheirat

BAG, Urt. v. 20.2.2019 – 2 AZR 746/14 (LAG Düsseldorf, Urt. v. 1.7.2010 – 5 Sa 996/09)

 

Sachverhalt

 

Ein katholischer Arzt war bei einem katholischen Krankenhaus als Chefarzt beschäftigt. Den Dienstvertrag schlossen die Parteien unter Zugrundelegung der vom Erzbischof von Köln erlassenen Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse (GrO 1993). Nach der Scheidung von seiner ersten Lebensgefährtin heiratete der Arzt ein zweites Mal (standesamtlich) und wurde daraufhin wegen grober Verletzung der vertraglichen Loyalitätspflichten nach Art. 5 Abs. 2 GrO 1993 gekündigt. Demnach handelte es sich unter anderem, beim Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe, um einen schwerwiegenden Loyalitätsverstoß, der eine Kündigung rechtfertigen konnte. Hiergegen hat sich der Kläger mit der Kündigungsschutzklage gewandt.

 

Entscheidung

 

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben.

Das BAG legte den Fall dem EuGH vor. Dies stellte fest, dass in der erhöhten Anforderung an das Privatleben des Arztes aufgrund seiner Zugehörigkeit zur katholischen Kirche eine Ungleichbehandlung gegenüber seinen nicht-katholischen Kolleg*innen und damit wegen eines der in § 1 AGG genannten Grundes Benachteiligung darstellt, ohne dass dies nach § 9 Abs. 2 AGG gerechtfertigt ist. Mit seiner Wiederverheiratung hat der Kläger weder eine wirksam vereinbarte Loyalitätspflicht noch eine berechtigte Loyalitätserwartung seines Arbeitgebers verletzt. Die Vereinbarung im Dienstvertrag, mit der die Grundordnung 1993 in Bezug genommen wurde, ist gemäß § 7 Abs. 2 AGG unwirksam, soweit dadurch das Leben in kirchlich ungültiger Ehe als schwerwiegender Loyalitätsverstoß bestimmt ist. Dies folgt aus einer unionsrechtskonformen Auslegung des § 9 Abs. 2 AGG und dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts. Die Loyalitätspflicht, keine nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der katholischen Kirche ungültige Ehe zu schließen, sei im Hinblick auf die Art der Tätigkeiten des Klägers und die Umstände ihrer Ausübung keine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung gewesen. Das BAG urteilte in seinem abschließenden Urteil im Sinne des EuGHs.

 

 

VG Augsburg, Urteil vom 19. Juni 2012 – Au 3 K 12.266 – Kündigung während der Elternzeit wegen gleichgeschlechtlicher Partnerschaft

 

Sachverhalt

 

Mit Beantragung der Elternzeit legte die katholische Leiterin einer Kindertagesstätte eine Bescheinigung über ihre eingetragene Lebenspartnerschaft vor und machte so ihre Homosexualität bekannt. Hieraufhin wurde ihr gekündigt, da sie die katholische Glaubens- und Sittenlehre nicht anerkenne und beachte. Dies sei eine wesentliche Anforderung für die Arbeit im pfarrlichen Kindergarten. Somit verstoße sie gegen Art. 5 Abs. 2 der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses wurde vom Gewerbeaufsichtsamt nicht genehmigt, da kein Tatbestand im Sinne des §18 Abs. 1 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz vorliege. Somit wären die erhöhten Anforderungen an eine Kündigung während der Elternzeit nicht erfüllt. Hiergegen hat der katholische Arbeitgeber Klage erhoben.

 

Entscheidung

Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab. In der Eingehung der gleichgeschlechtlichen eingetragenen Lebenspartnerschaft bestehe zwar nach kirchlichem Verständnis ein schwerer Loyalitätsbruch, welche eine Verletzung der vertraglichen Nebenpflichten darstellt. Allerdings begründet dies keinen besonderen Kündigungsgrund nach § 18 Abs. 1 Satz 1 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz. Die Verletzung der vertraglichen Nebenpflichten führt hier nach Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht dazu, dass der Klägerin die Aufrechterhaltung des bestehenden Arbeitsverhältnisses während der Elternzeit schlechthin unzumutbar ist. Ohnehin hat die Leiterin des Kindergartens während der Elternzeit keinen Kontakt zu Kindern oder Eltern in der Kindertagesstätte. Ob kirchliche Arbeitgeber grundsätzlich Kündigungen wegen gleichgeschlechtlicher Partnerschaften aussprechen können, ließ das Gericht zur Entscheidung der Arbeitsgerichte offen.

 

 

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 10. Februar 2021 – 4 Sa 27/20  Außerordentliche Kündigung wegen Kirchenaustritts - ordentlich unkündbarer Koch in evangelischer Kindertagesstätte

 

Sachverhalt

 

Ein als Koch angestellter Mitarbeiter in einem evangelischen Kindergarten wurde auf seinen Austritt aus der Kirche hin außerordentlich und fristlos gekündigt. Hiergegen erhob er Klage.

 

Entscheidung

 

Das Arbeitsgericht sowie das Landesarbeitsgericht erklärte die Kündigung für unwirksam, da sie eine ungerechtfertigte Benachteiligung darstelle. Die Loyalitätserwartung, dass der Kläger nicht aus der evangelischen Kirche austrete, stellt keine wesentliche und berechtigte berufliche Anforderung dar. Insbesondere ist nicht ausreichend dargestellt, dass der Kläger als Koch an der Bestimmung des Ethos der evangelischen Kirche mitwirke. Die berufliche Anforderung einer Kirchenmitgliedschaft ist in diesem Fall nicht gerechtfertigt.

 

Vera Egenberger gegen Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V.

EuGH-Urteil vom 17.04.2018 - Rs. C-414/16

 

Sachverhalt

Der Beklagte – ein Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ‑ schrieb eine Stelle für einen Referenten/eine Referentin aus. Es sollte ein Bericht einer Arbeitsgruppe zu Rassismus gemeinsam mit anderen Organisationen erarbeitet werden. In der Stellenausschreibung wurde die Mitgliedschaft in einer evangelischen oder der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen angehörenden Kirche sowie die Identifikation mit dem diakonischen Auftrag als Voraussetzung formuliert. Die Klägerin, die nicht Mitglied einer Kirche ist, bewarb sich erfolglos um die Stelle. Auch zu einem Vorstellungsgespräch wurde sie nicht eingeladen.

 

Entscheidung

 

Nach deutscher Rechtsprechung war eine kirchliche Festlegung wegen des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen vor staatlichen Arbeitsgerichten nur eingeschränkt auf Plausibilität, nicht aber inhaltlich überprüfbar. Die Klägerin sah darin einen Verstoß gegen die Richtlinie 2000/78 EG (zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf) im Hinblick auf die dort enthaltenen Bestimmungen zum Verbot einer Benachteiligung wegen der Religion. Auf das Vorabentscheidungsersuchen des Bundesarbeitsgerichts (Deutschland) entschied der EuGH: Das Vorbringen eines kirchlichen Arbeitgebers, die Religion sei nach der Art der betreffenden Tätigkeiten oder den vorgesehenen Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos dieser Kirche oder Organisation, muss gegebenenfalls Gegenstand einer wirksamen unabhängigen bzw. gerichtlichen Kontrolle sein können. Eine derartige berufliche Anforderung liegt vor, wenn sie notwendig und angesichts des Ethos der betreffenden Kirche oder Organisation aufgrund der Art der in Rede stehenden beruflichen Tätigkeit oder der Umstände ihrer Ausübung objektiv geboten ist, keine sachfremden Erwägungen enthält und verhältnismäßig ist. Dies war bei der ausgeschriebenen Stelle nicht der Fall. Seit 2018 ist der Fall vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig.

 

 

Kirchenaustritt - Wartezeitkündigung - Benachteiligung wegen der Religion

Bundesarbeitsgericht, Beschluss von 21. Juli 2022 - 2 AZR 130/21 (A)

 

Sachverhalt

Eine Hebamme war über mehrere Jahre in einem Krankenhaus angestellt, welches dem Deutschen Caritasverband angeschlossen ist. Während sie als Selbstständige arbeitete und nicht angestellt war, trat sie aus der katholischen Kirche aus. Im Zuge einer Wiedereinstellung wurde ihr während der Wartezeit/Probezeit aufgrund des Kirchenaustritts gekündigt. Die Hebamme hat hiergegen Klage erhoben. In der Kündigung liege eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber anderen Hebammen vor, die von vornherein atheistisch seien.

 

Entscheidung

 

Das Arbeitsgericht hat in erster Instanz der Klage aufgrund widersprüchlichen Verhaltens der Beklagten nach § 242 BGB stattgegeben. Vor der Einstellung der Klägerin sei keine Prüfung ihrer Religionszugehörigkeit erfolgt. Also kann hierin weder eine Einstellungsvoraussetzung noch ein Kündigungsgrund liegen. Hierfür spricht auch, dass die Beklagte auch andere konfessionslose Hebammen beschäftige.

Das Landesarbeitsgericht Hamm gab allerdings der Berufung der Beklagten statt. Unter der Beachtung des Selbstverständnisses der katholischen Kirche stelle es eine gerechtfertigte berufliche Anforderung dar, die Ausübung der Tätigkeit einer Hebamme davon abhängig zu machen, dass ein Austritt aus der katholischen Kirche nicht erfolgt ist. So verstößt die Kündigung nicht gegen §§ 17 AGG. Die Ungleichbehandlung gegenüber konfessionslosen Mitarbeiter*innen ist nach § 9 Abs. 1, 2. Var. AGG gerechtfertigt. Der Austritt aus der Kirche kommt einem aktiven Bruch mit der katholischen Kirche gleich.

Das Bundesarbeitsgericht hat das Verfahren ausgesetzt und ersucht in 2022 den EuGH um Klärung der Auslegung des Unionsrechts. Es soll geklärt werden, ob diese Ungleichbehandlung durch die nationale Regelung des AGG gerechtfertigt werden kann.

 

Loyalitätspflichtverletzung - Kirchenaustritt - Schwangerenberatung

ArbG Wiesbaden, Urteil vom 10. Juni 2020 – 2 Ca 288/19

 

Sachverhalt

Eine Sozialpädagogin, die in der Schwangerenberatung bei einem katholischen Arbeitgeber tätig ist, tritt aus der katholischen Kirche aus finanziellen Gründen aus. Daraufhin wird ihr die Stelle mit der Begründung einer schweren Verletzung der Loyalitätspflicht gekündigt.

 

Entscheidung

Das Arbeitsgericht Wiesbaden gibt der Klägerin recht. Die Kündigung stellt eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung nach § 7 AGG dar, da sie gegenüber Arbeitnehmer*innen die nicht der katholischen Kirche angehören und folglich auch nicht austreten können, benachteiligt wurde. Diese Ungleichbehandlung kann auch nicht gemäß § 9 Abs. 2 AGG gerechtfertigt werden. § 9 Abs. 2 AGG rechtfertigt eine Ungleichbehandlung nur, sofern die Religion oder Weltanschauung eine berufliche Anforderung darstellt, die angesichts des Ethos der in Rede stehenden Einrichtung wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt ist und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht.