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Urteile zu religiösen Symbolen in öffentlichen Gebäuden

Bayrischer VGH, Urteil vom 01.06.2022 – 5 N 20.1331 –

Antrag auf Aufhebung des „Kreuzerlasses“ der Bayerischen Staatsregierung

 

Sachverhalt

In der entsprechend geänderten Vorschrift der Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaates Bayern werden alle bayerischen staatlichen Behörden verpflichtet, im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes gut sichtbar ein christliches Kreuz anzubringen. Die Änderung wurde im Gesetz- und Verordnungsblatt bekannt gemacht und trat zum 1. Juni 2018 in Kraft. Kurz darauf haben der Bund für Geistesfreiheit und andere Unternehmen sowie Einzelpersonen Klage aufgrund ihrer negativen Religionsfreiheit erhoben.

 

Entscheidung

Der bayrische Verfassungsgerichtshof sowie das Verwaltungsgericht München sehen sich nicht zuständig für den Prozess. Der bayrische Verfassungsgerichtshof sah in der Klage ein verwaltungsgerichtliches Anliegen und entschied, dass ein Normenkontrollverfahren nicht in Betracht käme, da schon förmlich keine unmittelbare Außenwirkung bestünde. Das Verwaltungsgericht verwies den Fall nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. Art. 5 Satz 1 AGVwGO an den Verwaltungsgerichtshof wegen sachlicher Unzuständigkeit. Demnach entfalte die streitige Norm tatsächliche Außenwirkung.

Mit dem Urteil vom 01.06.2022 gab der Bayrischer Verwaltungsgerichtshof dann bekannt, dass das Anbringen von Kreuzen in Behörden in Bayern zwar das staatliche Neutralitätsgebot verletzte. Eine Aufhebung der Rechtsgrundlage würde sich daraus jedoch nicht ergeben.

 

CASE OF LAUTSI AND OTHERS v. ITALY

EGMR Urteil vom 18.03.2011 - (Application no. 30814/06)

 

Sachverhalt

Zwei Kinder in Italien besuchten eine staatliche Schule in deren Klassenzimmer Kruzifixe angebracht waren. Nachdem der Vater vergeblich bei einer Versammlung verlangte, dass die christlichen Kreuze abgenommen werden, erhob die Mutter Klage aufgrund eines Verstoßes gegen das Gebot staatlicher Neutralität in Religionsfragen. Die Klage ging vergeblich durch alle nationalstaatlichen Instanzen. Im Juli 2006 schalteten sie den Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein. Die Kleine Kammer gab im November 2009 der Familie Recht und sprach ihr eine Entschädigung von 5.000 Euro zu. Die italienische Regierung beantragte daraufhin die Überprüfung des Urteils durch die Große Kammer. Italien vertrat dabei die Auffassung, dass das christliche Kreuz in dem katholisch geprägten Land heute eine Tradition darstelle, welche, über ihre religiöse Bedeutung hinaus, die Werte und Prinzipien der westlichen Demokratie und Zivilisation symbolisiere.

 

Entscheidung

Der Gerichtshof entschied am 18. März 2011 im Sinne Italiens. Im Kruzifix liege nur ein «passives Symbol, welches nicht mit einem didaktischen Vortrag oder mit der Teilnahme an einer religiösen Handlung» zu vergleichen sei. Außerdem lasse es sich nicht beweisen, dass die Präsenz von religiösen Symbolen in Unterrichtsräumen tatsächlich einen Einfluss auf die Schüler*innen hat. Der Gerichtshof kommt folglich zum Schluss, dass die Wirkung der höheren Sichtbarkeit des Kruzifixes, angesichts dieser Tatsachen relativiert werden müsse. Das elterliche Recht der Klägerin, ihre Kinder nach ihrer eigenen Weltanschauung zu erziehen sei insgesamt durch die Anwesenheit von Kruzifixen in Klassenzimmern unberührt.

 

Hinweis:Reaktion des deutschen BT

 

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 12. Januar 2010 – 3 ZB 08.2634 

 

Sachverhalt

Ein Lehrer unterrichtete in einer bayrischen staatlichen Schule. Er beantragt erfolglos das Entfernen der christlichen Kreuze aus den Räumen, in denen er unterrichtet oder sich dienstlich aufhält und beruft sich dabei auch auf den „Kruzifix-Beschluss“ des BVerfG von 1995. Dieser verbietet christliche Kreuze in Schulen. In Bayern sollen die christlichen Kreuze im Rahmen der Widerspruchsregelung mit § 13 Abs. 1 Satz 3 Volksschulordnung auf Verlangen abgehängt werden.

 

Entscheidung

Das Augsburger Verwaltungsgericht gab der Beklagten als erste Instanz recht. Das Gericht wägte die Glaubensfreiheit gemäß Art. 4 Abs. 1 GG einerseits und die Grundsätze des Berufsbeamtentums gemäß Art. 33 Abs. 5 GG miteinander ab. Im Ergebnis dieser Abwägung überwog die besondere Weisungsgebundenheit des Beamtentums unter Berücksichtigung des Willens der Mehrheit i.S.v. Art. 7 Abs. 3 Satz 4 BayEUG. Auch wenn die Glaubensfreiheit nicht dem Mehrheitsprinzip unterliegt, so überwiege die besondere Beeinträchtigung der Beklagten bei der Erfüllung des gesetzlichen Auftrags, wenn die Mehrheit der Schüler*innen christlichen Glaubens ist. Außerdem gibt es keine Hinweise dafür, dass die Schülerschaft nicht für die Beibehaltung des Kreuzes eintreten würde. Die Argumente des „Kruzifix Beschluss“ des BVerfG, nach welchem in Schulen zu Wahrung der negativen Religionsfreiheit von Schüler*innen, keine Kreuze aufgehangen werden dürfen, gelten für den Lehrer nicht. Vielmehr hat er das christliche Kreuz als Amtsperson in erster Linie gemäß der Sinnzuweisung in Art. 7 Abs. 3 Sätze 1 und 2 BayEUG zu verstehen. Für den Fall, dass Lehrkräfte dem christlichen Kreuz, neben dem gesetzlich vorgeschriebenen auch einen belastenden Sinngehalt zuschreiben, so überwiegt der gesetzliche Auftrag zur Anbringung des Kreuzes, dem Beamte infolge der Gehorsamspflicht zu dulden haben. Es ist ihnen verboten, sich über den gesetzlich normierten Sinngehalt des christlichen Kreuzes ohne weiteres hinwegzusetzen.

Die Berufung wurde vom bayrischen Verwaltungsgerichtshof abgelehnt. Die Klage war mehrere Jahre beim Verfassungsgerichtshof anhängig. Wegen der bevorstehenden Pensionierung des Klägers und Ruhestand des Anwalts, wurde die Verfassungsbeschwerde zurückgenommen. Damit ist das Urteil des Augsburger Verwaltungsgericht rechtskräftig.