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Urteile zu religiösen Symbolen von Mitarbeiter*innen

Fortsetzungsfeststellungsklage bei Kopftuchverbot für Rechtsreferendarin

BVerwG, Urt. v. 12.11.2020 – 2 C 5/19 (VGH München)

 

Sachverhalt: In Bayern wurde einer Rechtsreferendarin das Tragen eines muslimischen Kopftuches in der Gerichtsstation beim Ausüben hoheitlicher Tätigkeiten verboten. Die Zulassung zum juristischen Vorbereitungsdienst erfolgte unter der Auflage, dass bei Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten mit Außenwirkung keine Kleidungsstücke, Symbole und andere Merkmale getragen werden dürfen, die objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die religiös-weltanschauliche Neutralität der Dienstausübung zu beeinträchtigen. Im Januar 2015 legte die Klägerin erfolglos Widerspruch gegen die Auflage ein. Mit der im April 2015 erhobenen Klage beantragte die Klägerin zunächst, die Auflage aufzuheben. Nachdem mit Ablauf des Mai 2015 die Gerichtsstation beendet war, hob der Präsident des Oberlandesgerichts die Auflage im Juni 2015 auf, weil sie nicht mehr erforderlich war. Daraufhin beantragte die Klägerin im Juli 2015 nachträglich festzustellen, dass die Auflage rechtswidrig gewesen sei.

 

Entscheidung:

 

Das Verwaltungsgericht Augsburg hat dem Antrag im Juni 2016 stattgegeben (VG Augsburg, Urt. v. 30.6.2016 – Au 2 K15.457 [externer Link: www.vgh.bayern.de/media/vgaugsburg/presse/15a00457u.pdf). Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) hob das Urteil des Verwaltungsgericht auf und wies die Klage wegen mangelndem Feststellungsinteresse ab (VGH München, Urt. v. 7.3.2018 – 3 BV 16.2040). Das BVerwG hat das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt. Demnach bewirkte die Auflage einen schwerwiegenden Eingriff in die Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG), der auf keiner Rechtsgrundlage beruhte. Die gesetzliche Grundlage hierfür ist erst nachträglich (2018) durch Art. 11 Abs. 2 Bayerisches Richter- und Staatsanwaltsgesetz  in Verbindung mit Art. 57 Bayerisches Gerichtsverfassungsausführungsgesetz geschaffen worden.

 

Diese Klage wurde vom BUG begleitet. Weitere Informationen finden Sie hier.

 

 

Kopftuchverbot für Rechtsreferendarinnen verfassungsgemäß, BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 14. Januar 2020 - 2 BvR 1333/17

 

Sachverhalt

Die muslimische Beschwerdeführerin war Rechtsreferendarin im Land Hessen. Sie trägt in der Öffentlichkeit ein Kopftuch. Noch vor Aufnahme der Ausbildung wurde sie durch das Oberlandesgericht mit einem Hinweisblatt darüber belehrt, dass sich nach hessischer Gesetzeslage Rechtsreferendare im juristischen Vorbereitungsdienst gegenüber Bürger*innen religiös neutral zu verhalten hätten und sie daher mit Kopftuch keine Tätigkeiten ausüben dürfe, bei denen sie als Repräsentantin der Justiz oder des Staates wahrgenommen werden könnte. Gegen die entsprechende Verwaltungspraxis stellte die Beschwerdeführerin beim Verwaltungsgericht einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz, den der Hessische Verwaltungsgerichtshof in der Beschwerdeinstanz zurückwies.

 

Entscheidung

 

Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass ein pauschales Kopftuchverbot bei Gericht nicht verfassungswidrig ist. Das Verbot greift zwar in die Glaubensfreiheit der Klägerin ein, dies ist aber durch die Verpflichtung des Staates zu religiöser Neutralität und die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege gerechtfertigt.

                   

 

Verfassungswidriges pauschales Kopftuchverbot für Lehrkräfte an öffentlichen Schulen

BVerfG, Beschluss vom 27.01.2015 - 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10

 

Sachverhalt:

 

In Nordrhein-Westfahlen wurde eine angestellte Lehrerin und eine Sozialpädagogin, die jeweils ein muslimisches Kopftuch trugen, hierfür nach § 57 Abs. 4 des Schulgesetzes NRW (externer Link: bass.schul-welt.de/6043.htm) abgemahnt/gekündigt. Eine der Frauen trug ersatzweise eine Wollmütze anstelle des muslimischen Kopftuches. Auch dies wurde ihr vom Arbeitgeber verboten. Als Begründung wurde eine allgemeine Gefährdung des Schulfriedens aufgrund der Signalwirkung eines muslimischen Kopftuches angeführt. Dies könnte bei Eltern und Schüler*innen den Eindruck hervorrufen, dass die Lehrkräfte gegen die Menschenwürde, die Gleichstellung von Mann und Frau oder andere Freiheitsrechte auftreten würden. 

 

Entscheidung

 

Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrkräfte an öffentlichen Schulen rechtswidrig ist. Um religiöse Bekundungen der Lehrkräfte zu unterbinden, muss eine konkrete Gefahr für den Schulfrieden bzw. die staatliche Neutralität vorliegen. Eine generell angenommene Vermutung dessen reicht hier nicht aus. Somit muss § 57 Abs. 4 S.3 SchulG NRW  im Sinne der Art 3 Abs. 3 S. 1 GG iVm Art. 33 Abs. 3 GG verkürzt ausgelegt werden. Ähnliche Urteile sind in den Folgejahren auch in anderen Bundesländern ergangen. Folgend finden Sie eine Auflistung der Urteile aus verschiedenen Bundesländern.

 

  1. Benachteiligung wegen der Religion – Kopftuchverbot: BAG, Urteil vom 27. August 2020 – 8 AZR 62/19 
  2. Entschädigung bei Nachteil im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens wegen des Tragens eines Kopftuchs: Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Urteil vom 24. April 2020 – 5 LB 129/18
  3. Entschädigung bei Nachteil im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens wegen des Tragens eines Kopftuchs: Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Urteil vom 24. April 2020 – 5 LB 129/18
  4. Benachteiligung im Stellenbesetzungsverfahren - Nichtberücksichtigung für die Übernahme in ein Beamtenverhältnis: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 07. Oktober 2019 – 6 A 2628/16
  5. Kopftuchverbot für Lehrerinnen an allgemeinbildenden Schulen - Diskriminierung wegen der Religion - verfassungskonforme Auslegung des Neutralitätsgesetzes des Landes Berlin: LArbG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. November 2018 – 7 Sa 963/18
  6. Kopftuchverbot für eine Beamtin der Kommunalverwaltung (Abteilung Allgemeine Soziale Dienste): VG Kassel, Urteil vom 28. Februar 2018 – 1 K 2514/17.KS
  7. Rücknahme einer Einstellungszusage wegen Tragens eines Kopftuches - Schadensersatz (AGG): VG Osnabrück, Urteil vom 18. Januar 2017 – 3 A 24/16

 

WABE e.V. / Müller Handels GmbH

EuGH-Urteil vom 15.07.2021 - verb. Rs. C-804/18 und C-341/19

 

Sachverhalt

 

Zwei deutsche Gerichte legten dem EuGH Fälle, in denen Angestellten bei privaten Arbeitgebenden das Tragen eines muslimischen Kopftuches während der Arbeitszeit untersagt wurde, zur Vorabentscheidung vor. In einem Fall ging es um die Arbeit als Kindergärtnerin (WABE e.V.). Hier sollten die Mitarbeiterinnen am Arbeitsplatz keine sichtbaren Zeichen ihrer politischen, weltanschaulichen oder religiösen Überzeugungen tragen. In dem zweiten Fall ging es um eine Tätigkeit im Verkaufsbereich eines Drogeriemarktes (Müller Handels GmbH), wo am Arbeitsplatz keine auffälligen großflächigen Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Art getragen werden sollten. Streitig war in diesen Fällen die Auslegung der

Richtlinie 2000/78 EG (zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf).

 

Entscheidung

 

Der EuGH entschied, dass die Weisung der Drogeriekette nicht richtlinienkonform ist, da sich diese auf auffällige großflächige Zeichen beschränkt und so zu einer unmittelbaren Diskriminierung von Mitgliedern bestimmter Religionen führt. Bei einem generellen, betriebsinternen Verbot von religiösen oder weltanschaulichen Symbolen und Zeichen liegt jedoch keine unmittelbare Benachteiligung vor. Generelle Verbote begründen eine mittelbare Benachteiligung, die durch eine Politik politischer, weltanschaulicher und religiöser Neutralität gegenüber Kund*innen oder Nutzer*innen gerechtfertigt sein kann. Voraussetzung für eine solche Rechtfertigung ist ein wirkliches Bedürfnis, also der Nachweis einer Beeinträchtigung der unternehmerischen Freiheit, welcher durch die religiösen Symbole kausal verursacht wird. Da die Richtlinie 2000/78 EG (zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf) selbst zu Religions-/Weltanschauungsfreiheit und rechtmäßigen Einschränkungen (wie beispielsweise Unternehmerfreiheit) keine Regelung trifft, kann nationales Recht bzw. nationale Rechtsprechung im Rahmen des mitgliedstaatlichen Wertungsspielraums zur Auslegung der Richtlinie herangezogen werden. Der Fall war lange vor dem BAG anhängig. Dieses teilte mit, dass es vorerst keine Entscheidung treffen würde. Des weiteren hieß es, dass die Parteien einen Vergleich geschlossen haben.

 

 

L.F. gegen S.C.R.L.

EuGH-Urteil vom 13.10.2022 – C-344/20

 

Sachverhalt

Im Rahmen ihrer Berufsausbildung bewarb sich die Klägerin bei einer Gesellschaft, welche Sozialwohnungen (S.C.R.L.) verwaltet. Sie wurde zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen, bei dem sie gefragt wurde, ob sie bereit sei die Neutralitätsregel einzuhalten. Die Neutralitätsregel besagte, dass Angestellte des Unternehmens durch ihre Kleidung keine religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen zu Ausdruck bringen sollen. Nachdem sich die Frau weigerte ihr Kopftuch abzunehmen, wurde ihre Bewerbung nicht angenommen. Das Arbeitsgericht in Brüssel legte dem EuGH zur Vorabentscheidung die Frage vor, ob die Neutralitätsregel eine unmittelbare Diskriminierung darstelle.

 

Entscheidung

Der EuGH stellt fest, dass die interne Regel keine unmittelbare Diskriminierung darstelle. In dem Fall beschränke sich die Regel nämlich nicht nur auf großflächige Zeichen einer bestimmten Religion, sondern auf das Tragen jeglicher Zeichen, die politische, religiöse und weltanschauliche Überzeugungen ausdrücken. Somit ist der Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen, dass eine Arbeitsordnung eines Unternehmens, die es Arbeitnehmer*innen verbietet ihre weltanschaulichen oder religiösen Überzeugungen auszudrücken, keine unmittelbare Diskriminierung darstellt, solange diese Bestimmung unterschiedslos und allgemein angewendet wird.

Der Gerichtshof räumte aber auch ein, dass eine mittelbare Diskriminierung vorliegen kann, wenn Personen bestimmter Religionen und Weltanschauungen besonders von der internen Richtlinie betroffen sind. Das sei von dem Arbeitsgericht in Brüssel zu prüfen.